Schwurgericht zu Halle a.S. am 13. Februar 1893
Beim hiesigen königlichen Landgericht nahm heute die erste diesjährige Schwurgerichtsperiode ihren Anfang. Der Gerichtshof bestand aus dem Landgerichtsrat Mulertt als Vorsitzenden dem Landgerichtsrat Knibbe und dem Amtsrichter Lehmann als Beisitzer und dem Referendar von Heyden-Rynsch als Gerichtsschreiber. Die Staatsanwaltschaft war durch den Staatsanwalt Dr. Windseil vertreten und als Verteidiger fungierte der Rechtsanwalt Kaehne von hier. Als Geschworene wurden ausgelost der Gutsbesitzer Fehlbauer aus Schwoitzsch, Rittergutsbesitzer Berger aus Rödgen, Fabrikant Göpel aus Merseburg, Gutsbesitzer Henze aus Möderau, Mühlenpächter Thielecke aus Wettin, Bankdirektor Körner aus Zörbig, Gutsbesitzer Troitzsch aus Peterwitz, Fabrikbesitzer Koitzsch aus Zörbig, Oberlehrer Dr. Scheibe ans Merseburg, Zimmermeister Hertel ausTrotha, Kaufmann Clemens von hier und Gutsbesitzer Müller aus Zabitz.
Zur Verhandlung kam die Strafsache wider den Bauunternehmer August Ochsler aus Eisleben. Derselbe war des Betrugs in 2 Fällen, des betrügerischen Bankrotts und der Urkundenfälschung, also dreier Verbrechen, angeklagt. Der Ochsler, welcher 43 Jahre alt, Vater von 9 Kindern und bisher noch unbescholten ist, betrieb früher die Maurerprofession und war nebenbei Hausschlächter. Mitte der siebziger Jahre etwa fing er an, auf eigene Rechnung Häuser zu bauen und führte dies Geschäft in Eisleben allmählich zu einer derartigen Blüte, dass er zeitweise ca. 15 bis 20 Häuser gleichzeitig zum Verkaufe erbaute. Im Jahre 1888 errichtete er sodann auch eine Dampfschneidemühle und im Jahr 1890 auch noch eine Stuhl- und Möbelfabrik, um auch Möbelfabrikation betreiben zu können. Ochsler hatte zwar durch seine Häuserbauten und den Verkauf verschiedener Grundstücke Geld verdient und sich mit der Länge der Zeit ein Vermögen erworben, zu seinen letzteren Unternehmungen reichten aber seine eigenen Mittel doch nicht aus, so das er fremde Gelder sich verschaffen und namentlich auch den Kredit der Eislebener Bank-Institute in Anspruch nehmen musste. Dieser Umstand und der Mangel jeglicher kaufmännischer Kenntnis führte schließlich dahin, dass am 31. Dezember 1890 auf seinen eigenen Antrag dem Amtsgericht zu Eisleben der Konkurs über ſein Vermögen eröffnet wurde. Die Anklage des Betrugs gründete sich auf folgende zwei Fälle.
1. Ochsler ging im Februar oder März 1890 die Eislebener-Diskontobank um Gewährung eines Kredit von 120.000 M an und hat denselben auch gewährt erhalten. Bei der Nachweisung seines Vermögens soll er letzteres der Eislebener-Diskontobank gegenüber aber um mindestens 25 000 M zu hoch angegeben haben. Die Eislebener-Diskontobank hat dadurch insofern einen Vermögensnachteil erlitten, als auf ihre Forderung von ca. 119.000 M aus den Kaufgeldern der ihr verpfändet gewesenen Grundstücke nur etwas über 58.000 M zur Hebung gekommen sind und sie den Rest zur Konkursmasse hat anmelden müssen und hier voraussichtlich einen Ausfall von 35 Prozent erleidet.
2. In Folge einer Annonce in der Zeitung knüpfte der Angeklagte etwa Mitte 1890 mit dem Zahlmeister a.D. Steup in Göttingen zunächst brieflich Verhandlungen an, die dessen Aufnahme in des Angeklagten Geschäft als Sozius bezweckten lediglich aus dem Grunde, weil er allein nicht mehr im Stande sei, die durch die Vergrößerung des Geschäfts entstandene Mehrarbeit zu bewältigen. Auch bei seinem demnächstigen persönlichen Verkehr mit dem Steup soll er die Sache so dargestellt haben, als ob es ihm überhaupt nur darum zu tun sei, eine kaufmännische Kraft für das Geschäft zu gewinnen, das von dem Sozius einzuzahlende Geld sei Nebensache. Zugleich soll der Angeklagte dem Steup und dessen Schwager einen Vermögensnachweis vorgelegt haben, nach welchem am 1. Januar 1890 sein Vermögen sich auf etwa 280.000 M beziffert hat. Dieser Vermögensnachweis soll aber, wie sich in der Folge ergeben hat, insofern unrichtig gewesen sein, als der Angeklagte darin Schuldposten, insbesondere die Forderungen der Eislebener Bank-Institute, zusammen in Höhe von ca. 110.000 M unberücksichtigt gelassen haben soll. Von diesen Schulden soll der Angeklagte dem Steup gegenüber nie etwas erwähnt haben. Durch diese Manipulationen soll er Steup bewogen haben, kurz nach dem 1. August 1890 den Betrag von 20.000 M in das Geschäft zu geben und mit dem Angeklagten einen Vertrag abzuschließen nach welchem er am 1. Januar 1891 in das Geschäft gegen Einzahlung weiterer 60.000 M als Sozius eintreten sollte, falls sich zu dieser Zeit ein Überschuss von 200.000 M ergäbe. Gegen Ende des Jahres 1890 soll der Angeklagte dann eine Bilanz haben aufstellen lassen, in welcher die im Geschäft lagernden Materialien bedeutend zu hoch berechnet und beträchtliche Schuldsummen von ihm verschwiegen sein sollen. Dem Steup sind durch die Hingabe der 20.000 M gleiche Vermögensnachteile entstanden wie der Eislebener-Diskontobank.
Die Anklage des betrügerischen Bankrotts stützte sich darauf, dass der Angeklagte als Schuldner, welcher seine Zahlung eingestellt hatte und über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden war, in der Zeit von 1888 bis 1890 zu Eisleben
a. Handelsbücher, deren Führung ihm gesetzlich oblag, so unordentlich geführt habe, dass sie keine Übersicht seines Vermögenszustandes gewährten und es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen habe die Bilanz seines Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen
b. Vermögensstücke verheimlicht und bei Seite geschafft habe, sowie seine Handelsbücher so geführt und verändert habe, dass sie keine Übersicht seines Vermögenszustandes gewähren und zwar in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen.
Der Angeklagte ist, wie die Anklage behauptete, in seiner Eigenschaft als Dampfschneidemühlen und Fabrikbesitzer verpflichtet gewesen, die im Art. 28 des Handelsgesetzbuches vorgeschriebenen Handelsbücher zu führen und zwar in der Weise, dass daraus seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens vollständig zu ersehen waren. Seine Geschäftsbücher, insbesondere seine Hauptbücher und seine Kassenkladde sind aber so unordentlich geführt worden, dass die Forderungen und Schulden in einer ganzen Reibe von Fällen teils überhaupt nicht, teils unvollständig, teils falsch gebucht sind. Ferner wurde dem Angeklagten auch zur Last gelegt, dass er außer im Februar und Dezember 1890 nie eine Inventur und eine Vermögensbilanz aufgestellt habe, sowie dass er nach der Konkurseröffnung den Eingang einer Geldsumme von ca. 4300 M verschwiegen und erst am 4. Januar 1891 auf Befragen des Konkursverwalters noch einen Teil dieser Einnahme mitgeteilt und abgeliefert habe. Ferner, dass er mehrere über am 2. Januar 1891 an ihn geleistete Zahlungen ausgestellte Quittungen vom 25. oder 31. Dezember 1890 datiert habe, und endlich, dass er nach Eröffnung des Konkurses mit seinen Kassenkladden eine Veränderung dahin habe vornehmen lassen, dass er Blätter herausgerissen bzw. zusammengeklebt und die auf Seite 103 neu eingetragenen Posten in einem erheblich höheren Betrage als auf den früheren Seiten angegeben habe.
In Betreff der Urkundenfälschung wurde der Angeklagte beschuldigt, dass er über 3 nach der Konkurseröffnung am 31. Dezember 1890 Nachmittags von dem Fleischermeister Müller zu Eisleben für 1 Fuhre Sägespäne und Mietzinsen einer dritten Person und von dem verehelichten Bäckermeister Zwanzig, daselbst, für Darlehnszinsen geleistete Zahlungen in Höhe von 9 M, 112,50 M und 225 M Quittungen ausgestellt habe, welche als Tag der Zahlung und Ausstellung, den 25. resp. 31. Dezember 1890 bezeichneten, solche den Zahlenden ausgehändigt und diese Tatsachen dem Konkursverwalter verschwiegen habe. Der Angeklagte hielt sich überall für nicht schuldig, und behauptete, dass er stets redlich bestrebt gewesen sei, seinen Verpflichtungen seinen Gläubigern gegenüber nachzukommen. Die nicht ordnungsmäßige Führung seiner Geschäftsbücher gab er zwar zu, entschuldigte dies aber damit, dass er von kaufmännischen Dingen und von der Führung von Geschäftsbüchern nichts verstanden habe. In der umfangreichen Beweisaufnahme fiel u.A. der Umstand zu Gunsten des Angeklagten ins Gewicht, dass fast sämtliche Zeugen ihm das beste Leumundszeugnis ausstellen. Die Staatsanwaltschaft hielt aber am Schluss der Beweisaufnahme die Anklage nach allen Seiten aufrecht und beantragte das Schuldig auszusprechen. Der Verteidiger beantragte ihn, des betrügerischen Bankrotts, des Betrugs und der Urkundenfälschung und nur schuldig des einfachen Bankrotts. Das Verdikt der Geschworenen entsprach dem Antrage des Verteidigers, indem der Angeklagte nur des einfachen Bankrotts für schuldig befunden, im übrigen aber nicht schuldig ausgesprochen wurde. Der Staatsanwalt beantragte hierauf eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten, der Gerichtshof erkannte dahin, dass der Angeklagte von der Anklage des betrügerischen Bankrotts, des Betrugs und der Urkundenfälschung freizusprechen, wegen einfachen Bankrotts aber mit 4 Monaten Gefängnis zu betrafen, welche Strafe aber bis auf 2 Monate durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt zu erachten ist.
Quelle: Hallische Zeitung, Erste Ausgabe vom Dienstag, 14.02.1893