Lilli Steup, geb. Rosenthal wird am 18. Januar 1906 geboren, als Tochter des am 13. Oktober 1869 in Schlochaux) geborenen Martin (Moses) Rosenthal und seiner Ehefrau. Sie hatte eine ältere Schwester, die am 24. Juni 1899 geborene Grete Rosenthal.

Lilli heiratet um 1930 Louis Emil Steup, der am 31. Januar 1906 in Frankfurt als 4. Kind des Postsekretärs Karl Steup und seiner zweiten Ehefrau Mathilde, geb. Schneider geboren wird. Louis Emil absolviert die Liebig-Oberrealschule in Frankfurt a. Main, an der er Ostern 1924 die Reifeprüfung besteht. Er war ein begabter Schüler und ausgezeichneter Mathematiker. Anschließend studiert er Philologie an der Universität Frankfurt a. M., um Studienrat zu werden, gibt aber nach zwei Jahren wegen der schlechten und trostlosen Berufsaussichten in diesem Fach (Numerus Clausus) und der Pensionierung seines Vaters das Studium auf und findet als guter Mathematiker Beschäftigung bei einer Frankfurter Lebensversicherungs-Gesellschaft.

1929 wird er von der Versicherungsgesellschaft "Allianz" in Berlin übernommen und fest angestellt.

1936 wird die Ehe zwischen Lilli und Louis Emil kinderlos geschieden.

1939 heiratet Louis Emil in Berlin in zweiter Ehe die am 22. Oktober 1907 geborene Else Herrmann. Der Sohn Rainer Klaus Steup wird mitten im zweiten Weltkrieg am 15. Juni 1941 geboren.

Louis Emil wird zur Wehrmacht eingezogen, kämpft an der Ostfront bei einer Artillerie-Beobachtungsabteilung und gerät am 31. August 1944 im Raum Jassy in Rumänien1) in Kriegsgefangenschaft. Am 18. November 1944 stirbt Oberkanonier Louis Emil Steup in einem russischen Kriegsgefangenenlager im Raum Kiew in der Ukraine.

Lilli behält nach der Scheidung ihren Ehenamen, vielleicht auch weil dieser in der NS-Zeit mehr Schutz bot als ihr Mädchenname Rosenthal. 1940 arbeitet sie als Sekretärin und wohnt in Berlin-Wilmersdorf in der Kaiserallee (heute Bundesallee) 198. Ihr Ex-Mann Louis Emil wohnt zu dieser Zeit in Berlin-Mitte in der Brückenstraße 9.


Grete Rosenthal heiratet Anfang der 20er Jahre Bernhard Baruch, beiden wird am 3. Juli 1924 die Tochter Eva-Mirjam Baruch geboren. Anfang der 1930er Jahre wohnt die Familie Baruch in Berlin-Charlottenburg in der Ansbacher Str. 46. Bernhard ist Kaufmann von Beruf. Ab Herbst 1930 besucht Eva Mirjam die Volksschule in Charlottenburg und ist dort eine durchschnittliche Schülerin mit guten Noten in Betragen.

1935 betreibt Grete ein Vervielfältigungsbüro in der Ansbacher Str. 54.


Zwischen 1933 und 1940 wohnt noch ein Pflegekind in der Familie, Ernest Casper. Ernest wird am 29. April 1933 in Paris geboren und zum Vollwaisen, als seine Mutter Rose Margot Casper zwei Monate nach seiner Geburt an Lungenentzündung stirbt. Sein Vater war schon vor seiner Geburt gestorben.

Aufgrund der zunehmenden Probleme für Juden in Nazi-Deutschland nimmt sein Pflege-Großvater Daniel Baruch Verbindung zu Verwandten in den Vereinigten Staaten auf. Gerhard Gruenfeld, ein Cousin von Ernests Mutter, war ein Chirurg aus Berlin und bereits 1926 in die USA ausgewandert. Seine Ehefrau Julia geb. Bendix kam aus Recklinghausen und war ebenfalls bereits 1926 mit ihrer Familie in die USA ausgewandert. Das Ehepaar hatte keine eigenen Kinder und war schließlich bereit den sechsjährigen Ernest zu sich zu nehmen und adoptierte ihn später.

Viele Juden aus Deutschland versuchten in dieser Zeit in die USA auszuwandern aber die Einwanderungsquoten in die USA waren schnell erreicht und so konnten viele doch nicht ausreisen. Da Ernest in Frankreich geboren wurde, konnte er 1940 als einer der letzten noch unter der französischen Quote in die USA ausreisen, dies rette sein Leben.

2005 hat Ernest Gruenfeld die Erinnerungen an die ersten 30 Jahre seines Lebens in dem Buch "Strangers in the Night" aufgeschrieben.

Am 25. März 2012 stirbt Ernest im Alter von 78 Jahren in North Bethesda, Montgomery Co, Maryland, USA


Bernhards Eltern sind Daniel Baruch und seine Ehefrau Bertha geb. Levy, sie wohnen in Berlin N42), in der Chausseestraße 36. Daniel betreibt dort ein Einzelhandelsgeschäft und die Familie wohnt über dem Geschäft.

Sie leben als orthodoxe Juden, essen koscher und achten die jüdischen Feiertage. Daniel ist auch noch Geschäftsführer des „Israelischen Religionsvereins der Oranienburger Vorstadt e.V.“ mit Sitz in Berlin NW87, Altonaer Straße 12. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Gottesdienst nach orthodoxem Brauch zu pflegen und zu erhalten. Die Synagoge befindet sich zu Fuß ca. 10 min entfernt in der Liesenstraße 3.

1936 stirbt Bernhard Baruch und wahrscheinlich zieht daraufhin Grete mit ihrer Tochter Eva-Mirjam und Pflegesohn Ernest zu ihren Schwiegereltern in die Chausseestraße 36.

Gretes Vater Martin (Moses) zieht ebenfalls in die Chausseestraße 36, in den linken Seitenflügel der 2. Etage.

Grete Baruch, geb. Rosenthal heiratet in zweiter Ehe, den am 16. Juni 1899 in Neunkirchen an der Saar geborenen Leo Emanuel, der ebenfalls in der Chausseestraße 36 wohnt.

Das Wohn- und Geschäftshaus Chausseestraße 36 wurde mit seinen zwei hinteren Seitenflügeln 1887 errichtet. Bis in den 1960er Jahren hatte das Vorderhaus noch eine wilhelminische Stuckfassade, die allerdings schon damals sehr reparaturbedürftig war. Früher gab es hinter dem Haus die „Wolff & Co. Eisengießerei“ sowie die „Tietzsch & Co. Eisengießerei“ und die „Schwabenthan & Co. Maschinenfabrik, letztere bis in die 1920er Jahre. Im Vorderhaus existierten über die Jahre hinweg verschiedene Läden, noch in den 1950er und 1960er Jahren gab es einen Fahrradladen, einen Friseur und die kleine damals beliebte Eisdiele Piketti.3)

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Anfang August 1942 erhält Martin (Moses) Rosenthal den Befehl zur Deportation. Mit dem Transport I/39 wird er nach Theresienstadt4) gebracht. Zu diesem Zeitpunkt war nur wenigen Deportierten wirklich bewusst, dass sie nie wieder in ihre Heimatstadt zurückkommen werden, viele dachten noch das sie tatsächlich nur in Arbeitslager umgesiedelt werden.

Mit dem Beginn der Transporte nach Theresienstadt Anfang Juni 1942 ließ die Gestapoleitstelle das Altenheim der Jüdischen Gemeinde in der Großen Hamburger Straße 26 im Bezirk Mitte zu einem Sammellager umbauen.

Den zur Deportation eingeteilten Juden wurde befohlen, am 5. August 1942 selbst im Sammellager Große Hamburger Straße zu erscheinen oder sie wurden von der Gestapo aus ihren Wohnungen geholt. In der Regel erschienen einige Gestapomänner, Mitglieder des Judenreferates, um die zur Deportation bestimmten Juden festzunehmen. Die Juden mussten vor ihrer Deportation alle Steuern und Abgaben bezahlt haben und ihre Wohnungen sauber übergeben. Das Gepäck und die Wohnung wurde von den Gestapoleuten durchsucht, wobei oft Wertgegenstände konfisziert wurden. Anschließend wurden die Wohnungen versiegelt.

Die Gestapomänner wurden von jüdischen Aufsehern begleitet, welche den zur Deportation eingeteilten Juden beim Verpacken und Tragen ihrer Habseligkeiten halfen. In Lastwagen wurden die Juden zum Sammellager gefahren. Dies fand für gewöhnlich einen Tag vor der Deportation statt. Im Sammellager wurden die Juden gezwungen, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der sie den Staat zum Einzug ihres Vermögens bevollmächtigten.

Wie in vorherigen Transporten wurden sie am 6. August 1942 zwischen zwei und drei Uhr morgens geweckt, und bekamen ein einfaches Frühstück, das von Angestellten der jüdischen Gemeinde zubereitet worden war. Gegen vier Uhr verließen sie das Gebäude in der Großen Hamburger Straße. Zu Fuß mussten sie einige hundert Meter zum Monbijouplatz marschieren, wo ein Straßenbahnwagen der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) bereitstand. Um fünf Uhr waren sie an Bord der Straßenbahn, welche die Deportierten zum Anhalter Bahnhof in der Schöneberger Straße brachte, wo sie etwa um 5:15 Uhr eintrafen. Durch einen Seiteneingang wurden sie zu Gleis 1 gebracht und mussten in zwei alte Waggons dritter Klasse einsteigen. Diese waren bei der Reichsbahn bestellt worden. Die Waggons waren an einen fahrplanmäßigen Personenzug angehängt, der den Bahnhof gegen sechs Uhr früh nach Dresden verließ. Dort hielt der Zug für einige Stunden. Dann wurden die Waggons an einen anderen fahrplanmäßigen Zug nach Prag angehängt.

Die Route führte die Deportierten von Berlin über Dresden und den Fluss Elbe entlang nach Decin (Tetschen), Usti nad Labem (Aussig) und schließlich nach Bohusovice (Bauschowitz). Sie mussten am Bahnhof Bohusovice aussteigen und wurden dort von SS-Personal und der tschechischen Gendarmerie in Empfang genommen. Anschließend wurden sie gezwungen, mit ihrem Gepäck die ca. drei Kilometer nach Theresienstadt zu marschieren. Nicht gehfähige Deportierte wurden mit Lastwagen ins Ghetto gefahren.

In den Büchern des Ghettos wurde der Transport mit der Nummer I/39 verzeichnet, die römische Ziffer I bezieht sich auf Berlin. Die in der Mehrheit älteren Deportierten, welche in diesen Transporten ankamen, starben aufgrund der Mangelernährung und der im Ghetto grassierenden Krankheiten oft schon während der Sommermonate. Andere wurden in den folgenden Monaten in Vernichtungslager in den Osten gebracht, wo sie ermordet wurden.

Der Transport I/39 bestand aus 100 Juden, darunter 67 Frauen und 33 Männer. Das Durchschnittsalter der Deportierten betrug 68,3 Jahre. Die Jüngste der Deportierten war ein 16jähriges Mädchen und der Älteste war 90 Jahre alt. 15 waren im Alter zwischen 46 und 60, und 82 waren zwischen 61 und 85 Jahre alt. Dies war der 39. von 123 Transporten mit hauptsächlich älteren jüdischen Deportierten (Alterstransporte) von Berlin nach Theresienstadt bis zum Ende des Krieges.

Es sind nur drei Überlebende dieses Transportes bekannt.

Quelle: https://deportation.yadvashem.org/index.html?language=de&itemId=5093015

Martin erreicht Theresienstadt lebend und wird im Gebäude Q507 untergebracht. Er stirbt dort nur einen Monat später, am 16. September 1942. Im Totenschein wird die Todeszeit mit 18:30 Uhr und als Todesursache Enteritis (Magen-Darm-Grippe) angegeben.

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Ende Februar 1943 erhalten auch Grete und ihre Tochter Eva-Mirjam die Aufforderung zur Deportation. Beide werden am 1. März 1943 über den Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit nach Auschwitz gebracht.

Bei diesem Transport handelte es sich um die 31. Deportation aus Berlin in die Ghettos und Vernichtungsstätten in Osteuropa. Er verließ den Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit am 1. März 1943 und kam einen Tag später in Auschwitz an.

An Bord des Zuges befanden sich 1722 Juden. Vor der Deportation wurden die Betroffenen in Sammellagern in Berlin festgehalten, wo sie eine Erklärung unterschreiben mussten, in der sie ihr gesamtes Eigentum dem Staat überschrieben.

Am Tag der Deportation wurden die Juden zum Bahnhof gebracht und in einen Zug aus Güterwaggons gezwungen. Diese wurden verschlossen. Eine Wachmannschaft, bestehend aus einigen Polizisten, war zur Begleitung des Transports eingeteilt. Die Züge von Berlin nach Auschwitz fuhren normalerweise über Breslau (Wroclaw) und Kattowitz (Katowice). Aufgrund der ständigen Überlastung der Reichsbahn wurden Transporte verschiedentlich auch über andere Routen geleitet.

In der Auschwitz Chronik ist vermerkt, dass am 2. März 1943 ein durch das RSHA organisierter Transport mit 1500 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Berlin in Auschwitz ankam. Der Zug stoppte außerhalb des Lagerkomplexes und die Deportierten wurden durch SS-Personal selektiert. 150 Männer wurden als „arbeitsfähig“ bestimmt. Sie erhielten die Nummern 104740-104889. Sie mussten unter schlimmsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten, die sie nur selten überlebten. Die restlichen 1350 Juden wurden sofort zu den Gaskammern von Birkenau (Auschwitz II) gebracht und ermordet.

Nur 12 der Zuginsassen aus diesem Transport überlebten den Holocaust. Grete und Eva-Mirjam haben das Lager nicht überlebt.

Gretes Ehemann Leo Emanuel wird am 4. März 1943 ebenfalls über den Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit nach Auschwitz gebracht und dort ermordet.

Bei diesem Transport handelte es sich um die 34. Deportation aus Berlin in die Ghettos und Vernichtungsstätten in Osteuropa. Er verließ den Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit am 4. März 1943 und kam zwei Tage später in Auschwitz an.

An Bord des Zuges befanden sich 1120 Juden. In der Auschwitz Chronik ist vermerkt, dass am 6. März 1943 ein durch das RSHA organisierter Transport mit 1128 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Berlin in Auschwitz eintraf. 389 Männer und 96 Frauen wurden als „arbeitsfähig“ bestimmt. Die Frauen erhielten die Nummern 37647-37742. Die restlichen 643 Juden, davon 151 Männer und 492 Frauen und Kinder, wurden sofort zu den Gaskammern von Birkenau (Auschwitz II) gebracht und ermordet.

Nur 14 der Deportierten aus diesem Transport überlebten den Holocaust.

Quelle: https://deportation.yadvashem.org/index.html?language=de&itemId=5092743

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1943 wird auch Lilli von der SS verhaftet und soll ebenfalls deportiert werden. Sie wird in das Sammellager in der Levetzowstraße5) gebracht. Dort gelingt es ihr aber zu fliehen und sich anschließend in der Wohnung eines Bekannten zu verstecken. Dieser Freund wurde im November 1944 wegen Ablehnung der NSDAP-Parteimitgliedschaft trotz seines Alters von 57 Jahren zur Wehrmacht eingezogen, seit Ende Januar 1945 fehlt von ihm jegliche Spur.

Lilli überlebt die Shoah in ihrem Versteck in Berlin.

Nach dem Krieg versucht sie Überlebende und Freunde zu finden

Über das tragische Schicksal ihrer eigenen Familie war Lilli am 19. Juli 1946, als sie die folgende Suchanzeige in der Zeitschrift „Der Weg - Zeitschrift für Fragen des Judentums“ aufgab, noch nicht im Bilde.

 

 

Im Oktober 1946 und im Januar 1947 gibt Lilli in der Zeitschrift der AJR (The Association of Jewish Refugees) folgende Suchanzeigen auf:

Suchanzeige AJR Zeitschrift vom October 1946   

 

Am 21. Juli 1947 wendet sich Lilli an den Berliner Rundfunk - BERU (der BERU war ein Rundfunksender des Rundfunks der DDR) mit der Bitte um Gehör und Hilfe bei der Suche nach einem Bekannten6):

„Sie selbst sei Jüdin, der es 1943 nach ihrer Verhaftung durch die SS gelungen sei, aus dem Sammellager Levetzowstraße in Berlin zu fliehen und in der Wohnung eines Bekannten unterzuschlüpfen. Dieser Freund sei im November 1944 wegen Ablehnung der NSDAP Parteimitgliedschaft zur Wehrmacht eingezogen worden. Nach regelmäßigem Briefkontakt fehle von ihm seit Ende Januar 1945 jegliche Spur und nirgendwo hätte sie Auskunft über dessen Schicksal erhalten können. Sie gehe aber davon aus, dass er in russische Kriegsgefangenschaft geraten sei. Doch man höre nichts und bekomme auch keine Post aus den Gefangenenlagern.
»Ich glaubte immer, ein Mensch, der politisch so sauber ist, wie mein guter Bekannter, der einem Menschen das Leben gerettet hat und dazu 60 Jahre jetzt alt ist, dass dieser Mensch von den Russen freigelassen werden wird. Ich kann schreiben, wohin ich will. Ich bekomme keine Nachricht. Diese Ungewissheit tötet so langsam. Und wenn ihm wirklich etwas passiert ist, warum erfährt man das nicht.«

Die Mehrzahl der Bevölkerung stehe hinter den Amerikanern, die ihre Gefangenen bereits freigelassen hätten. »Und ich glaube. schon dieses Moment mit den Gefangenen, das freiere Leben in den Westzonen und die ganze Großzügigkeit der westlichen Besatzungsmächte wirkt heilsamer, als der Zwang, der ja doch nicht demokratisch ist. Wenn ich manchmal Ihre Reporter und Ansager die Ostzone so verherrlichen und die Westzone so herunterziehen höre, meine ich, 1938/39 in den Ohren zu haben. Auch damals wurde über andere als die eigenen Sachen immer geschimpft. ( .. . ) Schimpfen Sie bitte nicht mehr auf Menschen, die wohl eine andere Politik oder Meinung als Sie haben, die aber wirklich menschlich sind, und die Gefangenen freilassen.“

1970 lebt Lilli in Berlin-Steglitz in der Albrechtstraße 35

Trotz aller physischen Entbehrungen waren die emotionalen Folgen des Krieges für die Überlebenden oft besonders schmerzhaft. Der Mehrheit der in Verstecken überlebenden waren die Schrecken der Lager und Ghettos erspart geblieben, aber die meisten ihrer Familien waren im Osten umgekommen.7)

Obwohl die Morde in den Lagern spätestens 1943 von vielen vermutet wurden, registrierten viele die volle Realität erst nach dem Krieg, als die Familienmitglieder nicht mehr zurückkehrten.

Einige, wie Lilli Steup, hatten sich vorgenommen, für ihren deportierten Vater, ihre Schwester, ihre Nichte und ihren Schwager ein "Heim" in Berlin zu unterhalten und war in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihnen abgetaucht. Sie schrieb an den „Hauptausschuss Opfer des Faschismus in Berlin“:

Ich hatte immer geglaubt, dass wenigstens einer von ihnen zurückkehren würde... Ich führte ein gehetztes, schreckliches Leben, nur in der Hoffnung, einen meiner Lieben wieder zu sehen. Ich wollte nicht glauben, dass die Menschen so barbarisch waren und sie töteten. Leider musste ich lernen, die Dinge anders zu sehen.8)

Lilli Steup, die die Wahrscheinlichkeit erkannte, dass ihre Familie umgekommen war, hoffte damals immer noch dass der Mann, der sie bis zu seiner Einberufung im November 1944 versteckt hatte, vielleicht noch in einem Kriegsgefangenenlager am Leben sein könnte. Sie beendete ihr Schreiben mit dem Satz: 9)

 

"Wenn dieser eine Mensch, den ich erwarte, nicht zurückkehrt, dann hat mein Leben keinen Sinn.

Keiner erwartet mich, keine Freude."

 

 

 

 

 

 Anmerkungen:

x) Das Gebiet des Kreises Schlochau kam durch die erste polnische Teilung 1772 zu Preußen und gehörte bis 1818 zum Kreis Konitz, der seinerzeit den gesamten südlichen Teil von Pommerellen umfasste. Durch die preußische Provinzialbehörden-Verordnung vom 30. April 1815 und ihre Ausführungsbestimmungen kam das Gebiet zum neuen Regierungsbezirk Marienwerder der neuen Provinz Westpreußen. <Quelle: Wikipedia>

1) Im August 1944 vernichtet die Rote Armee in Rumänien in der Schlacht von Jassy innerhalb von fünf Tagen - vom 20. bis zum 25. August 1944 - das Gros von 19 Infanterie-, 1 Panzer- und 1 Panzergrenadierdivision. 150.000 deutsche Soldaten fallen, 106.000 Soldaten gehen in Gefangenschaft und 80.000 Soldaten bleiben verschollen.

2) N4 war eine Bezeichnung der Berliner Postämter vor Benutzung der Postleitzahlen. N4 war ein Postamt im Bezirk Berlin-Mitte am ehemaligen Stettiner Bahnhof.

3) Die Chausseestraße im Berliner Bezirk Mitte ist die älteste Straße der Oranienburger Vorstadt. Rund 1,7 Kilometer lang, führt sie von der Friedrichstraße im Südosten zur Müllerstraße im Nordwesten. Entlang dieser Straße entstand nach 1800 die erste frühkapitalistische Schwerindustrie Preußens, gefolgt von den ersten Eisenbahnproduktionsstätten des Landes. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte die Chausseestraße zur innerstädtischen Geschäftsgegend. (https://de.wikipedia.org/wiki/Chausseestraße) Das Wohnhaus Chausseestraße 36 ist im Jahr 2021 noch erhalten und zwischenzeitig aufwendig restauriert worden. In den Seitenflügeln wurden Appartementwohnungen gebaut. https://www.chaussee36.com Im Hinterhof gibt es einen großen, hohen, gläsernen Ausstellungsraum. Im Untergeschoss nebenan wurden ehemalige Stallungen aufwändig renoviert, dabei die ursprüngliche Ziegel-Bausubstanz und der Stallcharakter erhalten. Im Nebengebäude gibt es mehrere Ausstellungsräume mit Berliner Altbauwohnungs-Charakter. Im Vorderhaus sind Luxusapartments entstanden, die zu gegebenen Anlässen gemietet werde können, sowie einem zur Straße gelegenen Café namens "Die Anstalt“.

4) Ab Ende November 1941 begannen die Nazi-Behörden, die im "Protektorat Böhmen und Mähren" lebenden Juden in die 60 Kilometer nördlich von Prag gelegene Festungsstadt Theresienstadt zu deportieren. Die im 18. Jahrhundert errichtete Festung diente nun als Ghetto. Tausende Deportierte wurden unter schrecklichen Bedingungen in den Kasernengebäuden untergebracht. Die Nazis stellten Theresienstadt als jüdische Mustersiedlung dar und versuchten so, die tatsächliche Funktion als Transitlager und ihre Politik der Massenvernichtung gegenüber den Juden zu verschleiern. Von Januar 1942 an fuhren Transporte von Theresienstadt nach Riga. Später wurden die Transporte auch in Vernichtungslager und zu den Mordstätten, darunter Auschwitz, Treblinka und Maly Trostinec, geführt. Während der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 gab Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts bekannt, dass Hitler die "Evakuierung" der jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten angeordnet habe. Heydrich fügte hinzu, dass aufgrund der Wohnungsknappheit und gesellschaftspolitischer Erwägungen die Priorität bei den im Reich wohnhaften Juden lag. Juden über 65 Jahre, Kriegsinvalide und Träger des "Eisernen Kreuzes" würden in das neuerrichtete "Altersghetto" Theresienstadt geschickt werden. Nach Heydrichs Ankündigung beraumte Adolf Eichmann, Leiter des Referats für Judenangelegenheiten und Räumungsangelegenheiten (IVB4) im Reichssicherheitshauptamt, für den 6. März ein Treffen von Abgesandten der Gestapodienststellen im Reich an, bei dem die notwendigen Vorbereitungen für die Deportation der 55.000 Juden aus Deutschland und dem "Protektorat" getroffen werden sollten. Eichmann wies ausdrücklich darauf hin, dass ältere Juden von den Transporten ausgenommen seien. Diese würden nach Theresienstadt deportiert. Eichmann warnte die Gestapo auch davor, den Juden die bevorstehende Deportation anzukündigen. So sollten Versuche, die Transporte zu umgehen, verhindert werden. Am 15. Mai 1942 erließ das Referat IVB4 neue Richtlinien, die von Gestapochef Heinrich Müller unterzeichnet waren und die Deportationen von Juden ins sogenannte "Altersghetto" betrafen. Die Deportation der Bewohner von Altersheimen wurde zum vordringlichen Ziel. Juden mit ausländischer Staatsbürgerschaft und Juden, die in kriegswichtigen Industriezweigen arbeiteten, waren von den Deportationen ausgenommen. Angesichts der Vorbereitungen der Wehrmacht für die Sommeroffensive in Südrussland (Fall Blau) erteilte die Reichsbahndirektion in Berlin vom 15. Juni bis zum 10. Juli keine Genehmigungen für die großen, 1000 Personen fassenden Deportations-Sonderzüge. Neue Anweisungen sahen vor, dass die Juden in Einzelwaggons mit einem Fassungsvermögen von 50 Personen deportiert wurden. Diese Waggons wurden an einen fahrplanmäßigen Personenzug angehängt. Im Jahr 1942 wurden Deportationen mit 50 Personen nur von Berlin und München aus durchgeführt. Die Deportierten durften 50 Reichsmark, einen Koffer, einen zusätzlichen Satz Kleidung, Schuhe, Bettzeug, Essbesteck und Verpflegung für acht Tage mitnehmen. Wie in vorherigen Fällen empfahlen die Richtlinien den Gestapostellen, die lokale jüdische Gemeinde dazu zu zwingen, bei der Vorbereitung und Abwicklung der Deportationen zu assistieren. Das Judenreferat der Berliner Gestapo unter der Leitung von SS-Untersturmführer Gerhard Stübs und seinem Stellvertreter Kriminaloberinspektor Franz Prüfer wurde beauftragt, die Transporte in Zusammenarbeit mit dem Judenreferat des RSHA durchzuführen. Franz Prüfer informierte am 31. Mai 1942 Philipp Kozower, Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Kultusvereinigung, über die geplanten Transporte. Im August 1942 führte die Gestapo 19 „kleine“ Transporte mit jeweils 100 Personen und einen großen Transport mit 997 Personen von Berlin nach Theresienstadt durch. Zusammen wurden in diesem Monat 2897 Juden deportiert.

5) In der Levetzowstraße stand eine der größten Synagogen Berlins, die im Zuge des Holocaust von den NS-Behörden als Sammellager für die zur Deportation bestimmten Berliner Juden missbraucht wurde. Das Gebäude wurde 1914 eingeweiht und diente mit Nebengebäuden als Gemeindezentrum mit Religionsschule und Gemeindewohnungen. Die Synagoge Levetzowstraße gehörte zur Hauptgemeinde, der „Jüdischen Gemeinde zu Berlin, welche religiös liberal ausgerichtet war und sollte mit ihren 2000 Sitzplätzen den Mangel an Synagogen in Moabit/Hansa-Viertel ausgleichen. Das Hansa-Viertel war sehr bürgerlich geprägt, während das westliche Moabit aufgrund der Nähe zu Betrieben wie Borsig und AEG ein Arbeiterbezirk mit „roten“ Kiezen war. Auf der Turmstraße lagen beliebte Kaufhäuser, etwa das „Max Giesen“, der angesehener jüdischer Berliner war. Assimilierter jüdischer Mittelstand gab Bezirk sein Gepräge. Man wählte die Demokratische Partei, und war Mitglied im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, hatte am ersten Weltkrieg teilgenommen, fühlte sich deutsch und besuchte die Synagoge nur zu hohen Feiertagen. Einige Straßen weiter bot sich im Scheunen-Viertel ein anderes Bild. Dies war eine sozial schwache Gegend, wo viele Migranten aus Osteuropa wohnten – traditionell und fromm lebende Juden, die vor dem polnischen oder russischen Antisemitismus und der Armut geflohen waren und auf dem Weg in die USA und Palästina in Berlin Mitte hängenblieben. Das Scheunen-Viertel war ein lebendiges, kulturelles, philosophisch-religiöses Zentrum osteuropäischen Judentums. Dort gab es Antisemitische Pogrome und Übergriffe schon vor 1933 aber auch Gegenwehr – etwa durch Mitglieder jüdischer Box-Clubs. Osteuropäisches Judentum und preußische „Drei-Tage-Juden“ standen sich nicht unbedingt freundschaftlich verbunden gegenüber. Als der Terror nach 1933 begann versuchten viele die Auswanderung, was eher Vermögenden aus dem Hansa-Viertel leichter viel, als den eher sozial Schwachen aus dem Scheunen-Viertel. Während der Pogrome 1938, die die endgültige Rücknahme der sog. Judenemanzipation von 1812 markierten, wurde das Gotteshaus nur leicht beschädigt. Nachdem Hitler, vor dem Hintergrund des Überfalls auf die Sowjetunion und den dortigen Massenerschießungen den diversen Vorschlägen zahlreicher Funktionäre zur Deportation der Juden aus dem Alt-Reich zugestimmt hatte, wurde die Synagoge von der Gestapo als Sammellager genutzt. Die Größe der Anlage und die geringe Beschädigung während der Novemberpogrome waren für die Wahl möglicherweise ausschlaggebend. Sogenannte „Sammellager“ waren überall im Alt-Reich Teil der Logistik der Deportationen. Hier wurden die Menschen zusammengefasst, durchsucht, sie mussten Vermögenserklärungen abgeben und diverse Formalitäten über sich ergehen lassen, denn es waren viele Behörden an den Deportationen beteiligt bevor es mit Zügen in die Ghettos und später direkt in die Mordstätten ging. Meist wurden Einrichtungen der jüdischen Gemeinden dafür missbraucht und die jüdischen Gemeinden wurden gezwungen, in den Sammellagern für einen reibungslosen Ablauf der Vorgänge zu sorgen. Die Zuarbeit der Jüdischen Gemeinden für die Gestapo ist ein komplexes und ambivalentes Thema. Die Historikerin Beate Meyer nannte dies eine Gratwanderung zwischen Verstrickung und Verantwortung. Aus vielen Berichten Überlebender geht jedoch auch hervor, dass die Jüdische Gemeinde in erster Linie darum bemüht war, den Unglücklichen das Unvermeidliche soweit wie möglich zu erleichtern. Zudem erlagen auch sie lange dem Irrglauben, dass die Deportierten tatsächlich umgesiedelt würden und Zwangsarbeit leisten müssen. Letztendlich war die ehemalige Synagoge als Sammellager jedoch ein Ort der Trauer und Verzweiflung – eine Station des Holocaust. Heute befindet sich ein Mahnmal an der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße. (Quelle: Antifaschistische Initiative Moabit [AIM] von 2010)

6) Rundfunk und Geschichte Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv 23. Jahrgang Nr. 2 I 3 -April I Juli 1997 https://doczz.net/doc/5734937/1997--23.-jahrgang---studienkreis-rundfunk-und-geschichte

7) Submerged on the Surface: The Not-So-Hidden Jews of Nazi Berlin, 1941-1945

8) LAB (Landesarchiv Berlin), C Rep. 118-01 (Hauptausschuss Opfer des Faschismus (OdF) / Referat Verfolgte des Naziregimes (VdN)) Nr.: 35992

9) LAB, C Rep. 118-01, Nr.: 35992

 

Ein Kommentar

  • Hallo,
    Thank you for this. Lilli was my grandfather Emil's first wife. We heard she survived the war but it's amazing to read these details. About her but also Emil. Emil and Else married in 1939. They had worked together at Allianz. Rainer Steup was my father. Emil was captured in Romania on 31/08/44 And died in a Russian camp in November of that year in Ukraine

    Viv Steup

    Bearbeitet am Mittwoch, 19. Januar 2022 16:16 von Admin - Bei Steup's.