Platoro Mai 19th 1901

Liebe Schwester Emilie!

Deinen lieben Brief sowie Vaters habe ich einige Zeit zurück erhalten und habe Vaters Brief ungefähr eine Woche zurück beantwortet. Du hast das Bild gesehen, wo ich drauf bin, und denkst, daß ich mir noch ziemlich ähnlich sehe und meinst, daß sich mir ein gewisser ernster Zug auf meinem Gesicht eingeprägt hat. Ja!! Die ernsten Züge kommen schon von selbst, wenn man für sich selbst sorgen muß, denn das Kinderspiel hört dann auf, und ich bin auch keiner von denen, die ohne Sorgen dahinleben. Du weißt ja selbst wie es unter fremden Leuten geht.

Ich habe Vater 100 Dollar geschickt, obschon ich auch beinahe außer Geld bin. Ich hatte mir etwas Geld gespart, doch habe ich diesen Winter bloß meine Unkosten gemacht, und Du weißt, wie es geht, wenn man nichts macht. Dann geht das Geld schnell. Du brauchst ja Vater nichts davon zu sagen. Vater hat wohl recht, wenn er sagt, daß die anderen für sich selbst sorgen, doch hat das ja weiter nichts damit zu tun und so lange ich ihm aushelfen kann, will ich es tun. Die andern denken wohl, daß man in Amerika Geld auf der Straße findet, doch das ist nicht so. Ich muß auch hart für mein Geld arbeiten, doch ich bin jung und Vater ist alt. Hätte ich nur einmal gutes Glück, so würde Vater nicht mehr zu arbeiten brauchen. Das Glück wird mir doch vielleicht günstig sein und hier sind doch immer Gelegenheiten.

Ich war heute wieder aus fischen und habe 16 Stück gefangen. Wenn unsere liebe Mutter noch hier wäre, so könnte sie wohl stolz auf ihre Kinder sein, doch ist sie am Ende besser dort, wo sie jetzt ist, denn das Leben ist doch nichts wie Sorgen und Mühe. Hoffentlich haltet Ihr Mutters Grab in guter Ordnung und wenn Ihr Mädchen wieder einmal zu ihrem Grab geht, so pflanzt irgendwelche Blumen darauf für mich, denn ich kann es selbst nicht tun. Ich werde Euch einmal ein schönes Geschenk dafür schicken. Ich habe oft Kirschen und Nüsse dort gepflückt und auch Schlehen waren dabei.

Vater wird sich wohl weiter keine Gedanken mehr über das Dach machen, denn das Geld, was ich ihm schickte (über 400 Mark) wird wohl dafür bezahlen. Hoffentlich lebt er wohl noch recht lange, denn wie Du sagst, die Welt ist arg und falsch und man hat einen Berater nötig und zumal einen, wie Vater ist ... [Rest fehlt leider wieder]

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

 

 

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