Denver Colo. March 18. 1908

 

Liebe Schwester Dora! 

Deinen lieben Brief eine zeitlang zurück erhalten und will Dir heute abend antworten.

Zuerst danke ich Dir vielmals für Deine Gratulation zu meinem Geburtstag. Leider kann ich mit Dir nicht einstimmen, noch viele solcher Tage zu verleben in Glück und Freude, denn das Leben ist ja weiter nichts wie Kummer und Sorgen, und wo man früher abschiebt, wo es besser ist, dann ist man allem enthoben. Das wenige Vergnügen, was man auf dieser Welt hat, ist ja doch kaum zu bemerken und kaum nennenswert.

Ich habe Vater versprochen, daß ich vielleicht diesen Sommer mit den Turnern nach Deutschland kommen würde und habe mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, denn wenn ich nach Deutschland komme, kostet es mich nicht weniger wie 500 bis 600 Dollar, und das ist alles Geld, was ich habe. Wenn ich dann wieder zurückkomme, habe ich gar nichts, und muß schaffen wie ein Narr, um wieder etwas Geld zu kriegen. Die Leute in Deutschland denken, daß man hier das Geld auf der Straße findet und daß die Leute von Amerika irgend eine zeitlang kommen können, denn die machten ja Geld wie Heu, aber sie rechnen nicht, daß es 1.50-2 Mark kostet, sich die Haare schneiden und rasieren zu lassen, für Essen und Schlafen von 3-4 Mark den Tag und für Waschen 2 Mark die Woche. So kannst Du sehen, wo das Geld hin geht. Wenn man in Deutschland 5-10 Mark in der Tasche hat, dann ist man reich. Hier reichen 5-10 Dollar nicht weit. Es kostet Louis 3-400 Mark den Monat zum leben, und er lebt auch nicht so ungeheuer gut. Die Leute in Deutschland denken, daß man lügt, wenn man das sagt, denn in Deutschland kann man ein ganzes Jahr davon leben. Karl und Robert könnten eher hierher kommen mich zu besuchen, wie ich Euch, und wiewohl ich Euch alle gerne einmal sehen würde, würde es mir doch nicht einfallen, nach Deutschland zu kommen, wenn es nicht für Vater wäre, denn ich kenne niemand in Deutschland, der 2000-2500 Mark bezahlen würde, um mich zu sehen.

Es freut mich, daß es Dir gut gefällt, wo Du bist, und ich freue mich jetzt schon auf das versprochene Bild. Deine Gote [Patin] ist noch gesund und auch Alwin und Helen.

Karls Brief, welchen ich schon lange zurück erhielt, habe ich bis jetzt noch nicht beantwortet. Auch Vaters Brief ist noch nicht beantwortet, muß bald wieder schreiben.

Ich habe noch keine Braut, so kann ich keine mitbringen. Sonst weiß ich nichts mehr zu schreiben.

So will ich schließen mit vielen Grüßen Dein treuer Bruder

 

August

 

Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914

 

 

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