Denver Dezember 19. 1909
Lieber Vater!
Euern lieben Brief etliche Wochen zurück erhalten und will Euch heute antworten.
Zuerst gratuliere ich Euch noch nachträglich zu Euerm Geburtstag und hoffe, daß Ihr noch manchen gesund und munter verlebt. Leider ist es mir nicht vergönnt, Euch ein Weihnachtsgeschenk zu schikken, denn ich habe absolut nichts, was ich mein eigen nennen kann. Ich bin seit 1. April in einem Automobilgeschäft und habe mir 1200 Dollar dazu geborgt. Hatte mit einem Compagnion angefangen, welcher allerlei Versprechungen machte und keine davon hielt und im August sich davon machte und somit muß ich alle Schulden selbst bezahlen. Ich habe seitdem ganz gut getan, doch dauert es immer eine zeitlang bevor man ein Geschäft aufbauen kann, und zudem geht es im Winter immer langsam. Sollte ich Glück im Geschäft haben, werde ich vielleicht in einem Jahr schuldenfrei sein, wenn nicht, werde ich wieder in die Berge gehen und auf den Gruben arbeiten, bis ich meine Schulden bezahlt habe, denn ich will niemals haben, daß jemand sagen kann, ich sei ihm etwas schuldig, und obschon sich Ehrlichkeit nicht bezahlt, soll mir doch niemand nachsagen, daß ich unehrlich bin.
Wegen der Vollmacht hättet Ihr überhaupt keine Erklärung zu schreiben brauchen. Ich habe überhaupt nicht anders davon gedacht. Ich habe Euch schon früher geschrieben, daß ich nichts von Deutschland wollte und schrieb bloß, daß Ihr das Anwesen verkaufen solltet, damit Ihr Euch Eure letzten Tage etwas leichter machen könntet, denn ich weiß nicht, ob ich jemals wieder imstande bin, etwas dazu beizutragen.
Ich werde, sobald es mir wieder möglich ist, das Geld für meine Strafe schicken, dann ist das wenigstens bezahlt.
Wegen der anderen Sachen, von denen ich in meinem Brief schrieb, habe ich meine eigenen Gründe, denn ich habe schon verschiedene Briefe von Deutschland erhalten, die nicht so angenehm lauteten. Bei mir macht es ja übrigens nichts aus, denn wie die Sachen stehen, werde ich doch auf alle Fälle niemals imstande sein, nach Deutschland zu kommen, denn alles, was ich angefangen habe, und was aussah, als ob ich etwas Geld dabei verdienen könnte, ist bis jetzt fehl geschlagen. Bloß bin ich gesund geblieben. Das ist das einzig gute, was ich bis jetzt auf dieser Welt gehabt habe.
Sonst weiß ich nichts zu schreiben und will schließen.
Wünsche Euch allen vergnügte Feiertage und ein fröhliches Neujahr.
Euer August
Im gleichen Briefcouvert:
Denver Dez, 19. 1909
Liebe Schwester!
Deinen lieben Brief etliche Wochen zurück erhalten und will Dir heute antworten.
Du wirst aus Vaters Briefen sehen, was ich zu sagen habe wegen meiner anderen Briefe, und es ist durchaus nicht nötig, mehr darüber zu schreiben, denn verstehen würdet Ihr mich doch nicht. Ich sehe diese Weit ganz anders an, wie Ihr in Deutschland und würde es mir deshalb niemals in Deutschland gefallen. Ich habe durchaus nicht daran gedacht, daß meine Schwestern ihren Vorteil im Sinne hätten. Wenn ich Geld hätte, würde ich Euch gerne die 268 Mark schicken für das Dach, doch leider habe ich nichts.
Ich habe schon lange keine Bilder von mir machen lassen und kann deshalb keine schicken. Du bist besser dran in Deutschland wie in Amerika, denn hier ist viel mehr Unzufriedenheit, und wenn man auch mehr verdient, kostet es auch alles viel mehr. Wenn ich in Deutschland geblieben wäre, wäre ich heute vielleicht zufriedener und auch besser dran. Hier hat man besser zu essen wie in Deutschland, aber das ist auch alles.
Sonst weiß ich Dir nichts zu schreiben, denn Ihr wißt ja doch nicht, wie es hier ist. Wir haben hier ungefähr 8 Zoll Schnee und es ist ziemlich kalt.
Ich will nun schließen mit vielen Grüßen an alle verbleibe ich Dein treuer Bruder
August
Werde ein Bild schicken, sobald ich wieder welche habe.
August
Quelle: "Wir hatten ein schlechtes Schiff..." Briefe eines Westerwälder Amerika-Auswanderers 1892-1914